Jorge Oswald
ist Filmemacher, sein Road-Movie kommt ins Kino.
Winterthurer Fotograf Felix Singer porträtierte Handwerksleute. Bild: Claudia Naef Binz
Sara Zünd war als Schreinerin während 1117 Tagen auf Tippelei, den Lehr- und Wanderjahren. Felix Singer begleitete sie fotografisch.
Vernissage Der Abschied verlief bei der freien Wandergesellin nach einem Ritual: «Als Sara Zünd sich auf die Wanderschaft machte, wurde am Ortsschild von Winterthur-Hegi ein Loch im Boden ausgehoben und Schnaps sowie eine Liste mit guten Wünschen vergraben», erinnert sich Felix Singer, der den Moment fotografisch festhielt, im persönlichen Gespräch. Der Winterthurer Primarlehrer beschäftigt sich seit Jahren mit Fotografie.
Eigentlich habe er nur kurz zuschauen wollen, das Prozedere hätte jedoch vier Stunden in Anspruch genommen. «Am Schluss überkletterte die Wandergesellin sogar noch das Ortsschild.»
Laut Sara Zünd ist dies ein symbolischer Akt. «Danach ist man weg und schaut nicht mehr zurück», sagt sie auf Anfrage. Es gebe sogar für die erste Zeit eine Kontaktsperre. Erst nach einigen Monaten ist der Kontakt über E-Mail, zum Beispiel an einem temporären Arbeitsort, erlaubt. «Ein Handy hat man nicht dabei, es gehört sich nicht», sagt Zünd. «Mit der Zeit fällt es leichter, auf Menschen zuzugehen und beispielsweise nach dem Weg zu fragen.» Auch beruflich konnte Zünd vieles ausprobieren. Auf die Walz gehen dürfen alle, die über eine abgeschlossene Handwerkslehre verfügen. Nicht nur Zimmerleute, sondern auch Hutmacher, Schreinerinnen, Schuhmacher, Gitarrenbauer, Gärtnerinnen, Steinmetze, Fahrradmechanikerinnen und viele mehr sind zugelassen, sofern sie unter 30 Jahre alt, schuldenfrei, ledig und kinderlos sind sowie über einen guten Leumund verfügen. Der Lebenslauf von Zünd, Jahrgang 1990, zeigt, dass sie die Matura am Liceo Artistico und die Ausbildung zur Schreinerin in der Genossenschaft Holzlabor absolvierte. Von 2018 bis 2021 erfolgte die traditionelle Wanderschaft als freireisende Schreinerin.
Auf der ersten Sommerbaustelle, einem gemeinnützigen Projekt in Halle, Deutschland, erkundigte sich Fotograf Singer nach der Schreinerin. «Wenn du etwas Zeit mitgebracht hast, setz dich hin und in einigen Stunden wird Sara schon auftauchen», lautete die Antwort eines Wandergesellen. «Auf der Tippelei gilt eine eigene Zeitrechnung», so Singer. Auf der zweiten Sommerbaustelle in Brandenburg im Folgejahr, prangten Schilder, dass das Fotografieren verboten sei. Schon vorher hatte Singer die Erfahrung gemacht, dass die Handwerksleute nicht so gern fotografiert werden. Auch die Protagonistin Zünd sei erst nach längerem Nachdenken dazu bereit gewesen.
«Deine Kamera lässt du erst mal im Rucksack», beschied ihm die Schreinerin mit Blick auf die Verbotsschilder. Singer fügte sich und half während zwei Tagen in der Küche mit. Erst nach und nach brachte er seine Fotos in den Kasten.
«Die Handwerksleute auf Wanderschaft vertreten eine hohe Ethik», sagt der Fotograf. «Ich fühlte mich als Aussenstehender akzeptiert, und ich konnte meine Kamera bedenkenlos überall unbeaufsichtigt liegen lassen.»
Auf ihrer Tippelei gelangte Zünd durch die Schweiz in den hohen Norden Deutschlands, nach Frankreich und Italien. «Zwar landete ich nicht immer dort, wo ich ursprünglich hinwollte, aber am Ende des Tages war ich immer an einem spannenden Ort», sagt Zünd.
Claudia Naef Binz
«1117 Tage auf Tippelei»
Vernissage: 1. März, 17 Uhr
Das Buch «1117 Tage auf Tippelei» ist erhältlich über
1117tage@gmail.com
www.altekaserne.ch
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