Gianluca Ogi
will sich in der Swiss League etablieren.
Blaukreuzhaus in der Rosenstrasse, erbaut 1911.
Alkoholsucht war in der Industriestadt Winterthur unter der Arbeiterschaft geradezu ein Massenphänomen. Sie führte zu zerrütteten Verhältnissen.
Sucht Im 19. Jahrhundert litt ein grosser Teil der Bevölkerung Not, vor allem die Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen, einschliesslich ihrer Kinder. Vor allem Männer ertränkten ihr Elend im Alkohol. In den Fabrikstädten der Schweiz reihte sich an den Strassen vor den Werktoren Wirtschaft an Wirtschaft. Hier blieb an Zahltagen ein schöner Teil des Lohns liegen, noch bevor etwa die Familienmutter die Schulden beim Krämer begleichen konnte. «Parasiten der Arbeiterklasse», nannte sie der Wirtschaftstheoretiker Karl Marx, die Schankwirte. In Winterthur stellten sie schon frühmorgens Schnapsgläser auf die Fenstersimse. Die Arbeiter kippten den Fusel, kehrten am Abend zurück, um zu zahlen, und tranken bei dieser Gelegenheit ihr Feierabendbier. Wobei das nicht immer in der Einzahl blieb.
Der Alkoholismus der Väter machte die Familien kaputt. Zudem schwächte er die Arbeiterschaft. Die Arbeiterbewegung und die sozialistischen Parteien, die sich im 19. Jahrhundert bildeten, gingen nur schon aus machtpolitischen Gründen gegen die Alkoholsucht vor. Doch auch bürgerliche und vor allem protestantisch-christliche Kreise bekämpften den Alkoholismus. Ihre Argumente dabei waren durchaus zynisch. Die Arbeiter würden gar nicht schlecht bezahlt, an ihrem Elend sei allein der Alkohol schuld. Diese Argumentation vertauscht Ursache und Wirkung. Ohne sich zu betäuben, war es für viele nicht auszuhalten, sechzig Wochenstunden in den Fabriken zu malochen, ohne Aussicht auf eine bessere Zukunft.
Die Kampforganisation der christlich-bürgerlichen Seite war das Blaue Kreuz. Der Blaukreuzverein Winterthur entstand 1888. Er bewog Menschen, zu unterschreiben, dass sie fortan auf Alkohol verzichten würden, und versprach ihnen dafür eine helle Zukunft. Ausserdem bot der Verein Freizeitangebote für Jugendliche, um sie von den Schenken fernzuhalten. Die Technik kam dem Blauen Kreuz entgegen. Louis Pasteur hatte 1864 das Verfahren des Pasteurisierens entwickelt. So konnte man zum Beispiel unvergorenen Apfelsaft haltbar machen. Der Süssmost wurde zum bevorzugten Getränk der Alkohol-Abstinenten.
Der Blaukreuzverein in Winterthur brauchte für seine Aktivitäten immer mehr Platz. 1911 konnte er an der Rosenstrasse ein grosszügiges Vereinshaus eröffnen. Es ist im typischen Heimatstil der Zeit, mit einigen Jugendstilelementen, gehalten. Geplant hatten es die damals populären Architekten Rittmeyer und Furrer.
Christian Felix
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