Andrea Lutz
Ist Co-Kuratorin der Ausstellung zu Vallotton.
Morgen Freitag grassiert in der Grüze (Bistro WIN4) das Disco-Fieber. Und dies ganz in der Nähe des legendären Jugendtreffpunktes «Brainticket».
Disco damals und heute Googelt man «Discothek», so ist etwa folgendes zu erfahren: «In Discos treffen sich vor allem junge Leute zum Tanzen, aber auch zur Anbahnung und Pflege sozialer Kontakte.» Auch wenn sie eher die Ü40-Generation ansprechen möchte, so entspricht das so ziemlich exakt den Grundgedanken Karin Leuchs, als sie vor einem Jahr zusammen mit tatkräftig helfenden Pétanque-Freunden ihre erste «Disco-Chugle» organisierte. «Wir möchten ohne kommerzielle Hintergedanken einfach Leute zusammenbringen und ihnen einen vergnüglichen Abend bei cooler Musik bieten», so Leuch. So verwandelt sich morgen Freitag ab 20 Uhr das WIN4-Bistro zum dritten Mal temporär in eine Discothek mit Glitzerkugel, einem Lollipop da, einer kleinen Überraschung dort und aus den Lautsprechern viele Hits von damals.
Damals? Drehten da nicht bereits Discokugeln im und um das Grüzefeld-Quartier? Genau, da war doch das 1979 im Beisein des damaligen Stadtpräsidenten Urs Widmer eröffnete Jugendlokal «Brainticket». Geleitet wurde dieses von Brigitt Trenz, von den jungen Besuchern bereits damals liebevoll «Discomami» genannt.
Trenz ist heute 91-jährig und wohnt im Seniorenzentrum Wiesengrund, wo sie letzte Woche erstmals Karin Leuch ziemlich spontan zum Kaffee traf. Zwei Partyveranstalterinnen also aus zwei – oder eher drei Generation – denn Leuch könnte gut und gerne Trenz' Enkelin sein. Ob sie sich noch an ihre erste mit den Jugendlichen organisierte Disco erinnere? Jetzt kommt Brigitt Trenz richtig in Fahrt, ihre Augen strahlen: «Bereits in der Baracke, die wir als ersten Jugendtreff 1972 von der Baufirma Lerch zur Verfügung erhalten hatten, liefen Musikkassetten und auch ein Plattenspieler; eine Discokugel konnten wir uns damals aber noch nicht leisten. Einer betätigte das Musikgerät, der andere knipste im Rhythmus eine Bürolampe an und aus, das war unsere Lichtshow.» Brigitt Trenz kann sich ein Kichern nicht verkneifen.
Die Baracke brannte eines Nachts nieder, ob Brandstiftung der Grund war, konnte nie ermittelt werden. Danach wurde den Jugendlichen ein Bunker zur Verfügung gestellt. Da dieser jedoch über keine Toilette verfügte, musste Brigitte Trenz nach einer neuen Lösung suchen. Ihr riesiges und stets unentgeltliches Engagement für die Jungen des Quartiers hatte sich längst auch bei den Politikern herumgesprochen. «Ein Gemeinderat machte sich für uns besonders stark und beantragte im Stadtparlament einen grosszügigen Kredit für einen neuen Treffpunkt.» Als das Geschäft im Gemeinderat besprochen wurde, sei sie mit etlichen Jugendlichen auf der Tribüne des Gemeinderatsaals gesessen, teilweise vom «Typ Halbstarke», mit langen Haaren. Manch ein Politiker hätte immer mal wieder fast etwas ängstlich zu ihnen herauf geschaut, lacht Trenz.
Der Kredit wurde einstimmig angenommen, der Weg für das künftige «Brainticket» an der Kronaustrasse war geebnet. «Eigentlich wollten wir zur Feier in der Stadt eine Cola trinken gehen – Alkohol gab es in meinem Beisein auch im Treffpunkt nie –, aber vor jedem Restaurant meldeten sich Jugendliche, sie hätten hier Beizenverbot, also lud ich sie zu mir nach Hause ein», so Trenz.
1977 begannen die Bauarbeiten. Die Zeichnerlehrlinge planten, die Schreiner und Stromer bauten und installierten, die Maler zauberten Farbe in die Räume, die Dekorateurinnen und Coiffeusen sorgten für das Ambiente. Zwei Jahre später erfolgte der letzte Pinselstrich, gar ein farbig leuchtender Boden wurde eingebaut, und die erste Discokugel drehte. Von da an fanden jedes Wochenende Discos, später auch Modeschauen statt, selbst am Sonntagnachmittag konnte im «Brain» getanzt und Zeit zusammen verbracht werden. «Wir konnten stolz sein auf unser gemeinsames Werk», meint Brigitt Trenz und ergänzt: «Die Jungen organisierten beim Bau alles selbst, ich stand nur beratend im Hintergrund.» Auch später hätte sie nur dann eingegriffen, wenn etwas aus dem Ruder lief. Selbst auf der Tanzfläche war das Discomami nie zu sehen.
Das wird sich auch morgen Abend in der «Disco-Chugle» von Karin Leuch und ihren Freunden nicht ändern. Denn: Brigitt Trenz hat am Ende des lebendigen Gesprächs völig überraschend angetönt, sie wolle der «Disco-Chugle» einen kurzen Besuch abstatten. Dies nachdem sie nach der Isolierung während Corona kaum mehr aus dem Seniorenzentrum gegangen war, weil sie sich etwa das Bus- oder Zugfahren einfach nicht mehr so richtig zutraute. Umso mehr freut sich Karin Leuch: «Das ist wunderbar. Wir werden ihr einen feudalen Stuhl mit bester Sicht auf die Tanzfläche bereitstellen. Irgendwo, wo es nicht allzu laut ist, sodass sie mit den Leuten reden kann. Denn sie wird an unserem Disco-Abend mit Sicherheit einige Leute treffen, die sie damals als Discomami während über 20 Jahren liebevoll begleitet hatte. Das wird mit Sicherheit eine herrliche Sache.»⋌⋌⋌
⋌George Stutz
Informationen zu «Disco Chugle»:
Freitag, 25.10., 20 bis 01 Uhr,
Bistro l'Arena WIN4
Grüzefeldstrasse 32
8400 Winterthur
Vorverkauf empfohlen (da beschränkte Platzzahl) unter:
www.eventfrog.ch
(danach Eingabe «Disco Chugle»)
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