Jorge Oswald
ist Filmemacher, sein Road-Movie kommt ins Kino.
Geht es um Ernährungsdiagnostik, um Körper und Gesundheit zu «optimieren», ist Jürg Hösli seit 30 Jahren ein nicht nur in der Schweiz gefragter Experte.
Körperkult Der Winterthurer Ernährungswissenschaftler Jürg Hösli im Interview.
Welches sind die Haupterkenntnisse der Ernährungswissenschaft der letzten 30 Jahre?
Jürg Hösli: Die Ernährungswissenschaft steht an der Schwelle bedeutender Durchbrüche, insbesondere im Umgang mit Datenanalysen. Eine der spannendsten Entwicklungen ist die Integration psychologischer Daten in die Forschung, wodurch neue Einblicke in die Motivationen und Bedürfnisse der Menschen ermöglicht werden. Es zeigt sich immer deutlicher, dass hinter vielen ernährungsbedingten Problemen psychologische Ursachen stehen. Ein prägnantes Beispiel hierfür sind die sogenannten «Weltretter», die oft Mühe haben, Grenzen zu ziehen und sich über das Wohlergehen anderer definieren, was zu mentaler und physischer Überlastung führen kann. Diese Überlastung beeinflusst wiederum das Hungergefühl und führt oft zu erhöhtem Konsum, um die empfundene Leere zu kompensieren.
Wie können Sie und Ihr Team dem entgegenwirken?
Dank der Fortschritte in der Datenanalyse und dem Einsatz Künstlicher Intelligenz sind wir bei Erpse nun in der Lage, Ernährungsberatungen anzubieten, die weit über die traditionellen Ansätze hinausgehen. Die neuesten Modelle in der Ernährungsdiagnostik berücksichtigen sowohl psychologische Aspekte als auch körperliches Training, wodurch individuellere und effektivere Beratungen möglich werden. Diese innovativen Ansätze finden nicht nur im Alltag Anwendung, sondern auch im Spitzensport, wo sie zu einer verbesserten Leistung und Gesundheit beitragen.
Auch Stress spielt der Fastfood-Szene in die Kasse, gleichzeitig besteht der Trend zu verganer Ernährung: zwei Extreme?
Trotz der weitverbreiteten Annahme und intensiver medialer Aufmerksamkeit haben sich unsere Ernährungsgewohnheiten weniger stark gewandelt, als man vermuten könnte. Insbesondere der vor einigen Jahren so populäre Trend zur veganen Lebensweise zeigt Anzeichen eines Rückgangs – eine Entwicklung, die überrascht, angesichts der verbreiteten Wahrnehmung, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sich für diese Ernährungsform entschieden hat. Analysen und Verkaufszahlen aus der Lebensmittelindustrie, vor allem aus den USA, widersprechen aber dieser Vorstellung. Ein positiver Aspekt ist jedoch die zunehmende Verfügbarkeit gesünderer Fastfood-Optionen, angetrieben durch innovative Start-ups, die in diesem Sektor neue Massstäbe setzen.
Die guten Vorsätze nach den Weihnachtsessen sind bei vielen bereits wieder weg. Vor der Badi-Saison und vor Strandferien sind
sie aber wieder aktuell. Wie sehr belastet ein solches Auf und Ab den Körper?
Der beliebte Ausspruch, dass wir nicht zwischen Weihnachten und Neujahr, sondern zwischen Neujahr und Weihnachten zunehmen, trifft den Nagel auf den Kopf. Es sind nicht die kurzfristigen Vorsätze, die zählen, sondern die Gewohnheiten und Strukturen, die wir das ganze Jahr über pflegen. Dies bringt uns zur Kernfrage zurück: Eine Überlastung im Sport oder überhöhte Ziele sind nie von Dauer und führen nicht zu einem ausgewogenen Lebensstil. Genau diese Ausgewogenheit ist jedoch entscheidend für eine positive Entwicklung unseres Gewichts.
Was muss beachtet werden?
Extreme Verhaltensweisen sind insgesamt schädlich. Wichtig ist, dass wir auch Freude und Genuss im Alltag nicht vergessen, denn ein zu strenges Regiment aus Verboten und Kontrolle wirkt kontraproduktiv. Letztlich ist es die Menge, die über Nutzen oder Schaden entscheidet – ein Grundsatz, der sowohl in der Ernährung als auch im Leben gilt.
Kommt jemand auf Sie zu, der/die im Hinblick auf die Sommerferien in zwei Monaten auf gesunde Art und Weise fünf Kilo abnehmen will, was empfehlen Sie dieser Person?
Ich gratuliere dieser Person und betrachte das Ziel durchaus als realistisch. Wir strukturieren unsere Ernährung, erlauben uns ab und zu etwas Genuss und arbeiten konsequent am Training. Nicht zu viel und nicht zu wenig, sodass wir im nächsten Sommer nicht wieder von vorne beginnen müssen.
Der Bequemlichkeit des Menschen kommt seit einigen Monaten die Abnehmspritze entgegen.
Die Abnehmspritze könnte sich als Bumerang erweisen. Wir versuchen mit einer Spritze, die unseren Hunger reduziert, weniger zu essen, verlangen aber von unserem Körper dasselbe. Der Schutzmechanismus unseres Körpers, der durch die Ernährung gewährleistet wird, entfällt also. Die gesundheitlichen Folgen beobachten wir täglich in der Praxis, und die Folgekosten für die Krankenkassen werden wahrscheinlich nicht geringer sein, als die des Übergewichts selbst.
Was sind Folgen davon?
Erschöpfung, Depressionen und ähnliche Beschwerden erkennen wir heute bereits als Folgen dieser Abnehmspritzen. Dass sogar Ärzte diese Spritzen depressiven Patienten verschreiben, zeigt, wie gross das Unverständnis für die Bedeutung der Ernährung in diesem Prozess ist. Es führt kein Weg an einer Lebensstiländerung vorbei, denn Gesundheit kann nicht konsumiert, sondern muss produziert oder eben gelebt werden.
Krankenkassen übernehmen die Kosten der Spritzen, gleichzeitig wurden aber Beiträge an Fitnessabos gekürzt oder gestrichen.
Diese Entwicklung ist äusserst besorgniserregend. Fitness und eine gute Ernährung fördern die Fähigkeit des menschlichen Körpers, sich zu regenerieren. Die Abnehmspritze hingegen beeinträchtigt diese Regenerationsfähigkeit stark. Trotzdem bleibt unser täglicher Aktivitätslevel, wie bereits erwähnt, unverändert. Es wäre daher logisch, alles daranzusetzen, unsere Fähigkeit zur Regeneration zu verbessern und den Alltagsstress zu verringern. Dann würden wir auch weniger Symptome, Krankheiten, Depressionen oder Erschöpfungszustände erleben. Wenn wir die Bremsen eines Autos verschlechtern, können wir nicht mehr mit derselben Geschwindigkeit durch die Landschaft fahren. Ein System muss ausbalanciert sein. Genau das bewirken Fitness und Ernährung. Leider scheinen die Krankenkassen das anders zu sehen. Die Kosten dafür werden wir letztlich alle gemeinsam über höhere Beiträge tragen müssen.
Können Sie einen allgemeinen Ernährungstipp abgeben, wie ich nachhaltig fit und schlank über die Runden komme?
Die einfachste Antwort lautet: Folgt keinem Berater, der zu Extremen neigt. Ein Frühstück wie ein Kaiser, ein Mittagessen wie ein König und ein Abendessen wie ein Bettler erweisen sich laut Datenlage als am effektivsten. Vermeidet Stress ebenso wie übertriebenes Training. Alles sollte in Massen erfolgen, wobei der Genuss stets einen Platz im Leben haben sollte.
Wie finde ich selbst heraus, was mir zusagt, was meinem Körper am besten behagt?
Die Auswahl der richtigen Fachberater im Bereich Ernährung und Fitness ist keine leichte Aufgabe. Viele der Ratschläge, die wir erhalten, klingen auf den ersten Blick logisch, doch nicht alle sind langfristig effektiv. Ein hilfreicher erster Schritt bei der Suche nach einem geeigneten Berater könnte ein Blick auf Instagram sein, wo viele Experten ihre Philosophien und Methoden präsentieren. Allerdings sollte man vor allzu reisserischen Versprechen auf der Hut sein – oft führen diese nur zu kurzfristigen Erfolgen und langfristigem Frust.
Ihr Fazit?
Wichtig ist am Ende eine ganzheitliche Betrachtungsweise, die den Unterschied ausmacht – nicht nur für unseren Körper, sondern für unser gesamtes Wohlbefinden.
⋌Interview: George Stutz
Weitere Informationen:
Instagram: juerghoesli
www.erpse.ch
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