Irene Mazza
singt und erzählt Geschichten im Museum Schaffen.
ruedi
Vom kleinen Kabäuschen hoch über der Schützenwiese aus hat Ruedi Kern gut 40 Jahre lang die stets einmalige Stimmung als Platzsprecher mitgeprägt.
Speaker-Legende Die winzige Platzsprecherkabine unter dem Dach der altehrwürdigen Schützenwiesentribüne ist noch eingerichtet wie vor 40 Jahren, als Ruedi Kern erstmals die Zuschauer über die Lautsprecher begrüsste. Auf dem alten Holzstuhl am museumswürdigen Mikrofon die Aufstellung der damaligen NLB-Mannschaft des FCW und seines Gegners durchzugeben, war da aber nur sein Nebenjob vom Nebenjob. Denn Kern arbeitet zu jener Zeit als IT-Verantwortlicher hauptberuflich zu 100 Prozent im Kader der Winterthur Versicherung. Er zählte gleichzeitig aber zu den Moderatorenpionieren von Radio Eulach und kommentierte für Letzteres unter anderem die Heim- und teilweise auch die Auswärtsspiele des FC Winterthur.
«Eines meiner vielen Highlights im Zusammenhang mit dem FCW erlebte ich gleich im ersten Jahr meiner Radiotätigkeit im Auswärtsspiel in Locarno. Da durfte ich Dario Zuffis Siegestor in der 87. Minute kommentieren, das zugleich den Aufstieg in die NLA bedeutete.» Anschliessend holte Kern mitten in der spontanen Aufstiegsfeier unter einigen Bierduschen FCW-Aufstiegshelden ans Mikrofon. Weil damals aber noch auf Tonspulen und Kassetten aufgenommen werden musste, eine digitale Übertragung ins Studio im Neuwiesencenter nicht möglich war und Kern mit seiner Ehefrau Charlotte den Tessinabstecher gleich für ein verlängertes Wochenende nutzte, gab er den Tonträger einfach einem Fan mit auf die Rückreise nach Winterthur. «Lustig war, dass ich mit meiner Frau nach getaner Arbeit in Locarno essen ging und am Nebentisch Hans Franz mit seiner Gattin Greta sass. Ich kannte Hans bis dahin nur aus den Medien. Wir hatten sofort
ein animiertes Tischgespräch.» Franz hatte sich das Spiel des FCW angesehen und wechselte kurz darauf vom FC Aarau zum Aufsteiger aus Winterthur. Innert Kürze war aus dem einstigen Handballer – Ruedi Kern war Ende der 60er-Jahre als Rückraumschütze Teil von Yellows NLA-Team, zudem arbeitete er bei der «Winterthur» viele Jahre unter dem grossen Handball- und vor allem Pfadi-Förderer Peter Spälti – ein Fussball-Enthusiast geworden. Primär als Sportreporter von Radio Eulach (später Radio Top), anfänglich auch von Radio Z, genoss er die Kontakte mit den FCW-Spielern und mit dem Staff. «Es waren sehr intensive Jahre, in denen ich unter der Woche für meinen Hauptjob immer wieder mal im Ausland war, jeweils am Samstagmorgen in der Frühe im Radiostudio sass oder an den Wochenenden entweder auf der Schützi oder in irgendeinem Stadion, wo der FCW gerade auftrat, im Einsatz stand. War ich mal nicht auf der Schützenwiese, begleitete ich die Handballer von Pfadi Winterthur nach Saporoschje und anderen Destinationen und berichtete im Radio über deren Europacup-Auftritte. Das alles konnte ich nur tun, da meine Gattin voll hinter meinem Engagement stand und sich zuhause liebevoll um unsere Tochter kümmerte», erzählt Ruedi Kern auf einem der Medienplätze der Schützenwiese gleich unter «seiner» Speakerkabine sitzend. Seinem letzten Arbeitsort. Denn Kern ist nun 75-jährig und geniesst sein Leben vorab in seiner zweiten Heimat Klosters.
«Es ist der richtige Zeitpunkt, um aufzuhören», meint er zu seinem Entschluss, nach fast 700 Meisterschafts-, Cup- und Freundschaftsspielen wie beispielsweise dem ersten Auftritt der Schweizer Frauennationalmannschaft auf der Schützenwiese 2019 gegen die Slowakei. Seinen letzten Platzsprecher-Lohn in Form einer Wurst und eines Biers löste er im Super-League-Match des FCW unmittelbar vor der Festtagspause gegen den FC Luzern ein. «Ich wollte mich nach dem Abpfiff bei den Zuschauern bedanken und mich von ihnen verabschieden, das ging aber unter den Turbulenzen des dramatischen Spielausgangs mit zwei Luzerner Toren weit in der Nachspielzeit buchstäblich unter», lacht Kern.
Fortan werde er aber gern als Zuschauer auf die Schützenwiese zurückkehren und sich dabei immer wieder an viele amüsante, selten aber auch weniger lustige Episoden seiner Zeit als Speaker zurückerinnern. Spätestens wenn der FCW im März den grossen FC Basel empfangen wird, dürfte Kern wieder auf den legendären Cup-Halbfinal von 2012 angesprochen werden. Der FCW verlor da gegen die Bebbi unglücklich 0:1. Dabei wurde den Winterthurern – im Gegensatz zum Elfmeter für die Basler – ein klarer Penalty und gleichzeitig eine rote Karte gegen Yann Sommer verwehrt. Dieser hatte weit vor seinem Torgehäuse FCW-Stürmer Kuzmanovic von den Beinen geholt. «Ich sagte nach dem Basler Penaltytor durch Streller: ‹52. Minute, 0:1 für Basel – mehr gibts dazu nicht zu sagen.› Diese Aussage zog eine heftige Schelte vom Schweizerischen Fussballverband nach sich. FCW-Geschäftsführer Andreas Mösli sagte mir damals, so etwas habe er noch nie erlebt.» Heute lacht Kern herzhaft darüber.
Ihm sei jedoch immer bewusst gewesen, dass er mit seinen Durchsagen eine grössere Verantwortung getragen hatte. «Als etwa der Bratwurststand abgebrannt war und ich die Fans der Südkurve nach dem Spiel mit einem einzigen Aufruf zum Umkehren und Benützen des Notausgangs bewegen konnte, bemerkte ich, welchen Einfluss die Worte über die Platzlautsprecher haben», so Kern. Dies nutzte er bis zuletzt auch immer wieder, um für die Einhaltung des Verbots betreffend das Entzünden von Pyros einzustehen. «Ich war auch bewusst nie ein ‹Marktschreier›, der die Stimmung der Fans zusätzlich anstachelte. Die Fairness auch gegenüber den Gästezuschauern, selbst wenn es wie im September 2023 im Heimspiel gegen Stade-Lausanne-Ouchy nur zwei Fans waren, lag mir immer am Herzen. Denn mit sehr wenigen Ausnahmen haben die friedlichen Fussballfeste den Charme der Schützenwiese geprägt und prägen ihn an jedem Heimspiel», sagt Ruedi Kern mit leuchtenden Augen.
Zum einmaligen Ambiente im einzigen echten Fussballstadion des Kantons zählten in den letzten 40 Jahren mit Sicherheit auch die immer wieder markigen, stets von viel Leidenschaft getragenen Durchsagen des kultigen Platzsprechers im nun wohlverdienten Ruhestand. ⋌⋌⋌⋌George Stutz
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