Jorge Oswald
ist Filmemacher, sein Road-Movie kommt ins Kino.
In Winterthur-Mattenbach entsteht eine neue Beteiligungs- und Ermöglichungskirche. Sie weicht von der herkömmlichen Angebotskirche ab.
Spiritualität Über eine Baumkrone hebt sich die Sonne, leuchtet in klarer Majestät auf einen freundlichen Garten in Winterthur-Mattenbach und weckt zu fröhlichem Leben. Umsäumt von Hochbeeten, Blümchen und Büschen, Brunnen und bunten, im Windhauch wehenden Fähnchen steht, stattlich und schön, ein helles Haus – ein Haus Gottes. Neben ihm prangt ein himmelhoher Kirchturm, dessen Glocken gerade neun Uhr schlagen und dessen Fassade hinter dem spätsommerlichen Kleid des alten Kastanienbaumes im Halbverborgenen bleibt. Man merkt: An diesem Ort herrscht eine Verbundenheit mit der Natur; hier in Winterthur-Mattenbach ist eine neue Beteiligungs- und Ermöglichungskirche entstanden. Diese will Platz bieten; Platz für die Anliegen der Quartierbevölkerung. Drei neue Pfarrpersonen sprachen hier am 10. September ihr Gelübde.
Der Einsetzungsgottesdienst der neuen Pfarrpersonen wurde vom Chor der Nationen begleitet: «Der Chor ist ein Integrationsprojekt, bei dem ich selbst acht Jahre lang mitgewirkt habe. Jede Person, die dort mitsingt, hat die Möglichkeit, aus ihrer Kultur ein Lied mitzubringen. Häufig sind es Flüchtlinge, die mitsingen. Sie finden hier ein Netzwerk, um sich bei uns zu etablieren und den Weg zu finden», so Daniel Wiederkehr, eine der neuen Pfarrpersonen. In der heutigen Zeit sei Migration ein zentrales Thema und den Pfarrpersonen ist es wichtig gewesen, dass der Startpunkt «open minded» sein würde. Denn das Liedgut der Welt sei eine riesige Inspirationsquelle – und dort wollten sie anzapfen: «Der Chor ist nicht bloss eine Aufführung, sondern im Gesang selbst ein Mitmachen der ganzen Gemeinde. Die Leute stehen auf und tanzen zusammen. Man merkt, dass wir hier in einem Kreis sind, der auch andere Einflüsse auf sich wirken lässt. Das ist gemeinschaftliche Biodiversität», sagt Markus Ehrat, der zweite im Bunde des neuen Pfarrteams.
Die Kirchgemeinde sei vor zweieinhalb Jahren in einer schwierigen Situation gewesen. Es gab viele Behördenwechsel und Pfarrpersonen, die weggegangen sind. In der Folge fand ein Grossgruppenprozess statt, an dem über 70 Leute beteiligt waren. Dort wurde die Frage in den Raum geworfen, was man als Kirche eigentlich wolle und was genau deren Aufgabe sei. Daraufhin hatte die Gemeinde Mattenbach entschieden, sich von einer Angebotskirche zu einer Beteiligungs- und Ermöglichungskirche zu entwickeln, um für die Anliegen der Wohnbevölkerung mehr Platz zu schaffen: «Der Unterschied ist ein grösseres Bewusstsein darüber, dass im Hintergrund begeisterte Leute sind, die mitgestalten möchten, sowie eine grössere Entschlossenheit, dieses Mitgestalten zu ermöglichen», erklärt Ehrat. So kann man mit seinen Ideen zur Kirche gehen, diese besprechen und bestenfalls umsetzen: «Es gibt beispielsweise Leute, die gerne in Gruppen meditieren würden und ein Meditationsangebot bei uns machen möchten. Wir stellen ihnen diesen Raum zur Verfügung», so Wiederkehr. Die neue Mattenbach-Kirche will ein Ort sein, wo wichtige Prozesse für das Quartier stattfinden und Menschen ihre Projekte verwirklichen dürfen. Selbstverständlich sei aber auch nicht alles möglich: «Sobald Menschen verletzt oder Menschenrechte mit Füssen getreten werden, ziehen wir eine klare Linie. Und je fundamentalistischer, desto schlechter für uns. Das hat bei uns nicht wirklich Platz. Wir möchten Raum geben, aber auch nicht beliebig», erwähnt Wiederkehr und Ehrat ergänzt: «Mit wenigen, aber starken Prinzipien Grenzen ziehen und vorwärtskommen. So können wir ein Kraftfeld organisieren. Mit Inspiration von innen und aussen.»
Natürlich haben die Pfarrpersonen auch eigene Ideen: «Wir wollen unter anderem den Wald als natürlichen Raum für Gebete erlebbar machen – eine Art Waldkloster. Beispielsweise kommen viele Väter nur in die Kirche wegen ihrer Kinder. Im Wald aber können sie miteinander «füürle». Ich möchte, dass die Väter zur Erfahrung kommen, gebraucht zu werden. Und dass sie Freude daran haben, sich ins Herz schauen zu lassen – das nenne ich den Eros der Brüderlichkeit», lächelt Ehrat, dessen Fachgebiet die Männerarbeit ist.
Auch für Wiederkehr sind der Wald und die Natur allgemein eine Herzensangelegenheit: «Mein persönliches Kernanliegen ist es, die Verbindung von Ökologie und Spiritualität in die Gemeinde einzubringen. Das ist meine Vision: Eine Kirche, die sich generationenübergreifend engagiert für einen Planeten, der auch unseren Kindern eine Zukunft bietet.
Janik Schmid
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