Jorge Oswald
ist Filmemacher, sein Road-Movie kommt ins Kino.
In den letzten drei Jahren kam die Firma Lerch AG ins Schlittern und fand nicht mehr aus einer Negativspirale heraus. Ein Interview mit dem VR-Präsidenten.
Baubranche Die Nachricht war ein Schock für die Baubranche: Nach 165 Jahren muss die Winterthurer Baufirma Lerch schliessen. 130 Mitarbeiter sind betroffen, wobei für die meisten eine Anschlusslösung gefunden wurde, wie es am vergangenen Freitag in einer Mitteilung des Unternehmens an alle Gläubiger, Kunden und Geschäftspartner heisst. Auch die noch nicht abgeschlossenen Objekte werden weitergeführt. Dafür wurden drei Unternehmen aus der Region gefunden.
Im Gespräch blickt der Lerch-Verwaltungsratspräsident Rudolf Ackeret zurück und spricht von einem hohen Preisdruck, seinen Lieblingsobjekten und fragt sich, welches Rädchen im Lerch-Getriebe er hätte anders drehen können, um das Ende abzuwenden.
Rudolf Ackeret, die Nachricht vom Ende der Lerch AG kam überraschend. Wie ist es möglich, dass eine so renommierte Baufirma nach 165 Jahren schliessen muss?
Rudolf Ackeret: Das Alter einer Firma ist leider nicht das, worauf es ankommt. Die Baubranche steht unter starkem Wettbewerb und Fachkräftemangel, so selbstverständlich auch Lerch.
Im Firmenmagazin «Spektrum» hiess es 2022 noch, Lerch sei gut ausgelastet und habe Wachstumspläne. Wieso kam es anders?
Wenn es heisst, dass eine Firma gut ausgelastet ist, muss das nicht immer proportional zum Resultat sein. Menschen ausserhalb der Baubranche sehen die vielen Kräne und denken, da ist eine goldene Umgebung für die Baubranche. Aber das ist nicht so. Sie müssen trotz hohem Preisdruck die nötige Rentabilität erreichen. Von einem höheren Umsatz und Ertrag gingen wir dannzumal aus. Die Entwicklung war leider eine andere. So ergaben sich unter anderem operative Verluste insbesondere im Hoch- und Ingenieurbau, und offene Stellen konnten nur schwer besetzt werden. Wer auf grösseren Baustellen in Schieflage gerät, gerät in eine Negativspirale. Trotz Restrukturierungs- und Sanierungsmassnahmen und Inanspruchnahme der internen Reserven, um die Delle wieder gerade zu biegen, erwiesen sich die Resultate als ungenügend, und wir gerieten nach weiteren Verlustmeldungen im Herbst in einen zunehmenden Liquiditätsengpass. Sie sehen, es gibt nicht nur den einen Punkt.
Sie haben erwähnt, dass die letzten drei Jahre einschneidend gewesen sind. Hatte auch Corona einen negativen Einfluss auf das Geschäft?
Corona wäre eine gute Ausrede, aber nein.
Wie viele Projekte konnten nicht beendet werden?
Das kann ich noch nicht genau sagen. Für viele Objekte haben wir Nachfolge-Firmen gefunden, die mit den gleichen Leuten die Arbeit beenden können.
Was passiert nun mit dem Areal in der Grüze?
Was mit den von Lerch gemieteten Flächen passiert, kann ich nicht abschliessend sagen. Teilweise werden sie eventuell von einer Firma übernommen, die auch Personal übernimmt.
Hätten Sie rückblickend etwas anders gemacht?
Das ist eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt. Wir haben nach Möglichkeiten geschaut, aber wir haben es nicht mehr geschafft, zur Rentabilität zu kommen. Es ist eine Negativspirale. Wenn Sie keine Fachkräfte finden, sind Sie mit der Annahme grosser Aufträge eingeschränkt. Umgekehrt können Sie den Aufwand nicht beliebig reduzieren. Als moderne Firma brauchen wir ein entsprechendes IT-System für unsere 130 Leute, auch wenn man damit unter Umständen 500 versorgen könnte. Der betriebliche Aufwand ist nicht immer proportional zu Mannschaft und Ergebnis.
Welches Lerch-Projekt in Ihren fast 25 Jahren bei Lerch freut Sie besonders?
Da gibt es viele, die in Erinnerung bleiben werden, besonders solche aus dem Ingenieurbau, die technisch schwierig waren. So sicher die Arbeiten im Museum Winterthur, wo wir im Hof einen Stock tiefer gegraben haben. Und das bei laufendem Museumsbetrieb. Das war eindrücklich. Wir machten auch die Erdbebenertüchtigung beim Glattzentrum oder vor Jahren einen Brückenbau beim Limmat-Ausläufer in Dietikon, sodann Brücken, Kreisel, Reservoirs, Umbauten, spezielle Fassaden, Holzbauten, zum Beispiel auch Gipserarbeiten im Kloster Rheinau. Lauter Projekte, die wir in unserer zweimal im Jahr erschienenen Hauszeitung «Spektrum» publiziert haben und die hoffentlich vielen Leuten in guter Erinnerung bleiben.
Welche positiven Erinnerungen nehmen Sie aus Ihrer langjährigen Zeit mit?
Alles ausser die letzten drei Jahre. Ich hatte eine gute Zeit bei Lerch, eine gute Verwurzelung mit den Mitarbeitern. Es ist mir auch sehr daran gelegen, dass es für die Mitarbeiter einen Anschluss gibt, dass der Geist weiterlebt. Wir haben in den letzten Jahren mit Beratern viel zu restrukturieren versucht, aber am Ende zeigte sich: Das eine Wundermittel gibt es nicht.
Was muss noch gesagt werden?
Ich denke mit grosser Dankbarkeit an unsere Kunden zurück, die wohl – zu Recht – enttäuscht sind. Ich glaube, im Grossen und Ganzen haben wir uns sehr bemüht. Das zeigen auch die wenigen Garantiefälle oder Auseinandersetzungen, die wir hatten. Unsere Arbeit wurde geschätzt. Aber ich frage mich schon auch, welches Rädchen man zur Erhaltung der Firma Lerch hätte anders drehen können.
⋌Interview: Sandro Portmann
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