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ist an zwei Gospelkonzerten zu hören.
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Mit Hausnummern oder Linien am Boden: Überall in der Stadt kann man Mathe lernen. Das macht sich Lisa Greminger für ihre Maturarbeit zunutze.
Maturarbeit Lisa Greminger muss bei der Frage schmunzeln. «Ich bin nicht sonderlich gut in Mathe», sagt die 18-Jährige im Gespräch. Und trotzdem hat sie ihre Maturarbeit an der Kanti Im Lee genau diesem Thema gewidmet. Unter dem Titel «Urbane Mathematik in der Winterthurer Altstadt» verschiebt sie den Lernort vom Schulzimmer in den Alltag. Und obwohl es nicht ihr Lieblingsfach ist, gab es viel Lob für ihre Arbeit. Es wäre aber auch falsch zu sagen, dass ihr das Thema gar nicht liegt. Schliesslich will die 18-Jährige Primarlehrerin werden, weshalb Mathematik auch in Zukunft ein Thema für sie bleibt.
Und auch die Leidenschaft für Pädagogik kommt nicht von ungefähr: Beide Elternteile arbeiten als Lehrpersonen. Das Thema für ihre Arbeit hatte sie rasch gefunden. «Meine Arbeit sollte einen Nutzen für mich haben, aber auch für andere. Ausserdem wollte ich etwas machen, was neu ist», sagt sie. Da es schon etliche Bücher zu Schule im Wald gibt, sagte sie sich: «Warum nicht die Schule in die Stadt bringen?» Schliesslich sei das Fach Mathematik wie auch die Biologie nicht an einen Ort gebunden.
Zuerst suchte die 18-Jährige nach passenden Lerninhalten für die 1. bis 6. Klasse. Greminger orientierte sich dabei am offiziellen Lernstoff des Zürcher Mathematiklehrmittels. «Beim Lesen der verschiedenen Lehrbücher stiess ich ständig auf interessante Erkenntnisse, und es fiel mir nicht leicht, auszusortieren, welche Aspekte ich in meine Arbeit aufnehme», sagt Greminger.
Dann suchte sie in der Winterthurer Altstadt nach geeigneten Orten für die verschiedenen Matheaufgaben. «Zu Beginn des Arbeitsprozesses pirschte ich mit meiner Mutter mit offenen Augen durch die Altstadt und fotografierte mögliche Lernorte und spannende Objekte», so Greminger. Nicht jeder Ort war auch geeignet. Einerseits sollen die Kinder keinen Gefahren ausgesetzt sein, andererseits sollten die Orte möglichst wenig Ablenkungen bieten. «Darum habe ich mich gegen Orte im Stadtpark entschieden, da der Spielplatz eine grosse Ablenkung sein kann», erklärt Greminger. Anschliessend führte sie die Matheaufgaben und die Orte zusammen und erstellte eine Broschüre. Das Ergebnis – zum Beispiel für die 4. Klasse – liest sich dann auf einem Arbeitsblatt so: «1. Suche Geraden, die parallel zueinander sind. 2. Zeichne sie auf. 3. Beschreibe sie in 1–3 Worten.» Mit dieser Übung sollen die Kinder die Kompetenz erwerben, parallele und senkrechte Geraden zu erkennen und zu zeichnen. Die 1.- und 2.-Klässler hatten andere Aufgaben. Sie mussten beispielsweise eine Hausnummer suchen und diese aufschreiben. Anschliessend sollten sie auch die Nachbarzahlen suchen und notieren. «Die Aufgaben können fast überall in der Altstadt gemacht werden», so Greminger.
So macht Lernen Spass. Das sagen die Testkinder von der 2. bis zur 6. Klasse, mit denen Greminger die Aufgaben in der Altstadt durchgespielt hat. «Die Kinder hatten mega Freude. Die 2.-Klässler wollten am Ende gar nicht aufhören», resümiert die Maturandin. Auch die anderen Klassen hätten gut mitgewirkt. Aber Greminger stellte besonders bei der 6. Klasse Unterschiede fest. «Die einen haben wirklich super mitgemacht und andere hatten keinen Plan», sagt Greminger. Allerdings sei das Thema Proportionalität knifflig gewesen. 14 der 15 Schülerinnen und Schüler einer Klasse sagten bei der Befragung im Nachgang, dass sie am liebsten nur noch auf diese Weise Schule haben würden. Doch es gehe nicht nur um Spass. «Vom ausserschulischen Unterricht können die Kinder extrem profitieren», führt Greminger aus. Verschiedene Studien belegen die Vorteile für die Schülerinnen und Schüler, wenn sie das Lernen in den Alltag integrieren können. «Mit meiner Maturarbeit will ich das unendliche Potenzial sichtbar machen.»
Greminger blickt zufrieden auf ihre Arbeit zurück. «Ich spüre auch ein wenig Stolz auf das, was ich erreicht habe. Mir bedeutet es sehr viel, mit dieser Broschüre etwas Neues geschaffen zu haben», sagt sie. Die Broschüre ist ein Bonus für Lehrpersonen, eine Ideensammlung für den Unterricht in der Stadt. Sie will nun prüfen, ob sie diese weiterentwickeln solle und bei einem schulischen Verlag nachfragen, ob Interesse bestehe, die Broschüre herauszugeben. Künftig kann also die Winterthurer Altstadt zu einem Lernort werden.
Sandro Portmann
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