Peter Widmer
und Peter Uhlmann wurden überrascht.
Die Betreiber der Rüedu-Filiale am Bahnhof Töss in Winterthur haben wiederkehrende Diebstähle zu beklagen. Bild: js
Ein aufstrebendes Start-up kämpft in Winterthur-Töss mit wiederholten Diebstählen. Zur Ahndung reagiert das Unternehmen umstritten.
Selbstjustiz Ein Start-up greift zu ungewöhnlichen Massnahmen. Über der Gemüseauslage des Hofladens «Rüedu» in Winterthur-Töss hängen Überwachungsbilder von Personen, die hier scheinbar auf frischer Tat beim Stehlen ertappt wurden. Schwarze Balken zensieren ihre Augen. Über den Bildern mahnt die Aufschrift: «Diebstahl lohnt sich nicht». Auf einem weiteren Zettel, der am Eingang hängt, ist von «wiederkehrenden und schwerwiegenden Diebstählen» die Rede.
Rüedu wurde Opfer seines eigenen Erfolgskonzepts.
Mit einem neuen Verkaufskonzept lancierten Tom Winter und Jürg Burri im Juli 2020 die Marke Rüedu. Im Quartierladen, der ein 18 Quadratmeter grosser Holzcontainer ist, gibt es frische regionale und saisonale Lebensmittel direkt vom Produzenten – und dies zu jeder Tages- und Nachtzeit. Denn Rüedu arbeitet mit einem speziellen Selbstbedienungskonzept. Es gibt kein Verkaufspersonal, der Kunde scannt und tippt die Ware eigenständig: «Das Konzept hat sich bewährt und wir dürfen auf eine gute Resonanz und Akzeptanz gegenüber den Kunden zählen», sagt Jürg Burri, CEO und Gründer von Rüedu.
Nach drei Jahren existieren bereits 27 Rüedu-Filialen in Bern und sechs im Kanton Zürich, drei davon in Winterthur: «An den Zürcher Standorten bieten wir regionale Produkte aus Zürich und den umliegenden Ortschaften an und in Bern von dort.» Der Unterschied des Umsatzes lasse sich bei den beiden Kantonen nicht pauschal überschlagen: «Wir haben besser etablierte Standorte, aber auch etwas schwächere. Was wir merken, ist, dass die städtischen Standorte verhältnismässig auf mehr Anklang stossen.» Rüedu hält laut Burri stets Ausschau nach neuen interessanten Standorten. Die Region Winterthur sei für das Unternehmen besonders attraktiv.
Die Betreiber am Bahnhof Winterthur-Töss hadern allerdings mit dem neuen Verkaufskonzept. Dort werden die Produkte nämlich nicht immer nur gekauft, sondern auch gestohlen: «Leider gibt es immer wieder Leute, die unser auf Vertrauen basierendes Konzept ausnutzen und Diebstahl begehen. Der Standort Winterthur-Töss war des Öfteren von schwerwiegenden Diebstählen betroffen», sagt Burri. Konkrete Zahlen nennt er dabei nicht. Die Diebstähle seien aber «nicht mehr als Kleindelikt einzustufen». Jeder Diebstahl würde anhand der Kamerabilder ausgewertet und zur Anzeige gebracht und neben der straf- und zivilrechtlichen Verfolgung erhebe das Unternehmen pro Delikt eine Bearbeitungsgebühr von 200 Franken, heisst es über den veröffentlichten Bildern der Delinquenten. In der Folge haben die Betreiber den Zugang zum Container eingeschränkt. Ausserhalb der öffentlichen Zugangszeit muss sich der Kunde mit der Handynummer registrieren, um in die Verkaufsstelle zu gelangen. Hierfür gibt es an jedem Standort einen QR-Code an der Tür. Nach der Registrierung ist der Zutritt zum jeweiligen Standort gewährt und der Einkauf kann beginnen. Diese Registrierung ist einmalig notwendig. Bei jedem weiteren Besuch reicht es aus, den QR-Code mit dem Handy zu scannen. Aktuell bleibt der Container in Töss zwischen 00.00 und 04.00 Uhr geschlossen, heisst es auf der Webseite ruedu.ch. Seit der zeitlichen Einschränkung des Zutritts sei ein starker Rückgang an Diebstählen verzeichnet worden.
Eine weitere, etwas kontroverser bewertete Massnahme des Unternehmens gegen die Dieberei: Das Veröffentlichen von Bildern der Täter. Ob die Straffälligen auf diese Art und Weise an den Pranger gestellt werden dürfen, ist fragwürdig. Abgesehen von einem dünnen, schwarzen Balken, der die Augen verdeckt, sind die Personen recht gut zu erkennen. Eine Antwort, ob diese Vorgehensweise juristisch erlaubt ist, liefert zuerst die Stadtpolizei Winterthur: «Bei der Veröffentlichung von solchen Bildern durch die Hofladenbesitzer selbst handelt es sich um eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte.» Dies sei aber eine zivilrechtliche Angelegenheit, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Polizei fallen würde, weshalb diese auf den Rechtsanwalt Martin Steiger verwies. Steiger verstehe, dass Diebstähle für ein Hofladen-Start-up frustrierend sind: «In gesetzlicher Hinsicht stellt das Anprangern von Ladendieben mit Bildern aus der Videoüberwachung aber normalerweise eine widerrechtliche Datenschutz- und Persönlichkeitsverletzung dar. Ein schwarzer Balken vor den Augen ist ein Stilmittel und keine wirksame Anonymisierung.»
Das Unternehmen wisse, dass es sich mit dieser Reaktion auf die Diebstähle in einer gesetzlichen Grauzone befand. Die Bilder wurden im Laufe der Recherche mittlerweile wieder entfernt. «Von diesen Aushängen sehen wir nun ab. Seit der Einführung des Schnellzugangs verfügen wir über die notwendigen Mittel und Angaben, um Diebstahl gezielt, zeitnah und effizient zu ahnden», erklärt Burri. Wer sich selbst ein Bild von dem Hofladen-Start-up machen möchte, hat in Winterthur drei Anlaufstellen: An der Stationsstrasse am Bahnhof Töss, in Oberi «Zum Park» sowie an der Kanzleistrasse am Bahnhof Seen steht jeweils ein Rüedu mit seinen frischen, lokalen Produkten. Alle zum Selbstbedienen – und bitte bezahlen.
Janik Schmid
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