MG Grace
ist an zwei Gospelkonzerten zu hören.
Ilario Boldo (links) und Emre Bakirtas beim Wandern in der Region. Bild: Terence du Fresne
Zürich stellt die Migration neu auf. Tandempersonen sollen bei der Integration unterstützen. Das Interesse in Winterthur ist gross, es fehlt an Freiwilligen.
Migration Seit dem Beginn des Ukrainekrieges hat sich die Zahl der Asylsuchenden in Winterthur verdreifacht. Dies teilte die Stadt Mitte September mit. 1228 Fälle wurden im vergangenen Jahr registriert – und die Zahl dürfte weiter steigen. Der kantonale Verteilschlüssel wurde per 1. Juli nach oben angepasst, womit die Stadt Winterthur neu Unterkünfte für rund 1900 Asylsuchende bereitstellen muss. Eine Unterkunft zu organisieren, ist aber erst der Anfang. Sind die geflüchteten Personen erst einmal hier, beginnt dieIntegration.
Dazu gibt es in Winterthur ein neues Angebot. Unter dem Namen «come together» werden Geflüchtete und Einheimische für mindestens ein halbes Jahr zusammengebracht, damit sie bei gemeinsamen Aktivitäten in einen Austausch kommen. Das sogenannte Tandemprogramm soll den Geflüchteten helfen, die Schweiz verstehen zu lernen und Anschluss zu finden (siehe Box). Das kantonale Integrationsprogramm wird in Winterthur vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) Kanton Zürich umgesetzt.
Ein solches Tandem bildeten Ilario Boldo und Emre Bakirtas. Beide loben das Integrationsprogramm. «Ich habe viel davon profitiert», sagt Emre Bakirtas in leicht holprigem, aber gut verständlichem Deutsch. Er flüchtete vor drei Jahren mit seiner Frau aus der Türkei, wo er einen Bachelor-Abschluss in Psychologie gemacht hat, in die Schweiz. Drei Jahre verbrachte das Paar in einer Asylunterkunft. Sie mussten sich den Weg zur Selbstständigkeit erst erkämpfen. «Wir haben etwa 800 Wohnungen besichtigt, bevor wir fündig wurden», erinnert sich Emre Bakirtas. «Ich wollte mich einleben in der Schweiz, und das passiert über die Sprache. Das Tandemprojekt ist eine Chance für mich, die Sprache zu verbessern. Das Projekt ist flexibel und sehr hilfreich», sagt Emre Bakirtas. Anfangs trafen sich die beiden einmal pro Woche und unternahmen alltägliche Dinge. Sie gingen zusammen einen Kaffee trinken, trafen sich zum Mittagessen oder spielten Spiele. «Sogar zum Wandern habe ich ihn gezwungen», sagt Ilario Boldo und lacht. Die beiden waren auf fast allen Hügeln rund um Winterthur. «Das war doch kein Zwang», entgegnet Emre Bakirtas. Beide profitierten von dem Tandem: «Ich muss sagen, ich habe viel gelernt, zum Beispiel über sein Land oder das Essen dort», sagt der Winterthurer.
Es war seine Tochter, die Ilario Boldo inspirierte, beim Tandemprojekt des SRK mitzumachen. Sie nahm an einem ähnlichen Projekt teil, und das führte zu Hause zu regen Diskussionen. «Man kann ja immer über Flüchtlinge sprechen, aber man kann auch selbst etwas Kleines tun», findet Ilario Boldo. Auch seine Freiwilligenarbeit führe nun in seinem Umfeld für Diskussionen. «Diese neue Nähe schafft Toleranz für Asylsuchende», sagt er.
Heute macht Emre Bakirtas ein Masterstudium in Heilpädagogik an der Universität Freiburg. Die offizielle Tandemzeit von sechs Monaten ging rasch vorüber. Ein Ende war für die beiden aber nicht in Sicht. Beide wollten den Kontakt weiterführen, und so treffen sie sich mittlerweile seit über einem Jahr. Heute allerdings nur noch etwa einmal im Monat. Zuletzt war die Familie von Ilario Boldo bei Emre Bakirtas zum Essen eingeladen. Was hat Ilario Boldo dazu bewogen, weiterzumachen? «Ich habe Zeit. Ich lerne neue Leute kennen und verfolge gerne die Erfolgsgeschichten. Auch wenn klar ist, dass nicht jede Geschichte so erfolgreich verläuft», sagt der Winterthurer.
Dass bei solchen Treffen langjährige Beziehungen entstehen, komme oft vor, weiss Anna Bossart vom SRK Zürich. «Das Programm ist für beide Seiten bereichernd», sagt sie. In Winterthur gibt es aktuell 30 Tandems. Die Nachfrage übersteigt das Angebot. 60 geflüchtete Personen befinden sich auf einer Warteliste. Gesucht werden Winterthurer Familien, Paare und Einzelpersonen, die Lust auf einen Austausch haben.
Sandro Portmann
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