Peter Dietschweiler
und die Andelbach-Köhler laden zum Köhlerfest
«Wir haben heute eine Überflutung von visuellen Reizen», sagt Henri Guttmannn. Bild: spo
Die Schmetterlinge fliegen wieder. Mit dem Frühling erwacht neben der Natur bei vielen auch die Lust auf Sex. Ein Buch greift das spielerisch auf.
Frühlingsgefühle «Mit 90 onanieren», heisst ein Kapitel, «Die acht schlimmsten Beziehungskiller» ein anderes. Das Buch «Der beste Sex kommt noch» blickt unverkrampft auf unser Sexualleben. Dabei werden auch Tabuthemen wie Analverkehr, Pornosucht oder verfrühtes Kommen angesprochen. Beim Buch zu «Sprechstunde Doktor Stutz» hat auch der Winterthurer Paar- und Sexualtherapeut Henri Guttmann (69) mitgewirkt. Im Gespräch verrät er, was guten Sex ausmacht und wie die Liebe frisch gehalten werden kann.
Henri Guttmann, das Buch heisst «Der beste Sex kommt noch». Meinen Sie das ernst? Haben wir den besten Sex im hohen Alter?
Henri Guttmann: Von der Sexualforschung her ist es so, dass sich mit dem Alter die Erregungskurven von Frauen und Männern einander angleichen. Die sexuelle Erregbarkeit wird synchroner.
Sex im Alter ist nur eines von verschiedenen Tabuthemen, die herrlich offen und ohne erhobenen Zeigefinger angesprochen werden.
Man hat ja immer das Gefühl, zehn Jahre später hat man keinen Sex mehr. Also mit 50 ist das Sexleben vorbei. Dann ist man selber 50 und denkt: aber mit 60 hat man keinen Sex mehr. Aber das ist nicht so.
Ausser der Körper macht nicht mehr mit.
Das ist auch ein Kapitel im Buch. Es gibt medizinische Gründe, dass man keinen Penetrationssex mehr haben kann. Auch führen gewisse Medikamente zu Libidoverlust, Antidepressiva etwa oder Blutdrucksenker. Aber man kann auch da zärtlich sein und einander streicheln.
Was ist guter Sex?
Wenn jeder seine Wünsche und Sehnsüchte kommunizieren kann und beide mit dem Vertrauen und einem Kick für Neues klarkommen.
Wann ist Sex nicht mehr gut?
Es ist nicht mehr gut, wenn es für einen von beiden nicht mehr stimmt. Der Partner soll bei Wünschen dem anderen entgegenkommen – unter der Bedingung, dass es ihn nicht abtörnt. Wenn einer sagt, es gefällt mir nicht oder das tut mir weh, dann muss Schluss sein.
Wir sind im Frühling angekommen. Alles wird leichter, auch die schönste Nebensache der Welt. Was aber, wenn es nicht mehr so einfach läuft und das Sexleben eingeschlafen ist?
Am Anfang einer Beziehung steht das gegenseitige Entdecken der Körper. Bei den meisten ist diese Phase nach drei Monaten beendet. Bei einer Langzeitbeziehung bekommt der Sex die Funktion eines Zusammengehörigkeitsrituals. Dabei wird der Sex oft zum kleinsten gemeinsamen Nenner – wie bei der Einrichtung der Stube, wo man auch nicht alle drei Monate das Sofa wechselt. Wenn der Sex aber immer gleich ist, wird es langweilig.
Was raten Sie also?
Wenn man merkt, dass der Sex eingeschlafen ist, mutig wieder aufeinander zuzugehen. Jeder hat Wünsche und Sehnsüchte. Ein Problem ist, wenn wir sie nicht kommunizieren. Ich unterscheide zwei Arten von Sehnsüchten. Einerseits solche, die wir kommunizieren können, und andererseits die, wie ich sie nenne, «very private fantasies». Diese kann man für sich behalten. Wenn der Mann sich etwa Sex mit Julia Roberts auf einem Klavier wünscht oder die Frau Sex mit Brad Pitt im Lift. Das Buch soll Hilfe und Anstoss geben, über die eigenen Sehnsüchte zusprechen.
Es gibt Paare, die haben Sex nach Agenda, was auch ein Kapitel des Buches ist. Funktioniert das?
Klar, Sex zu planen, schreckt erst einmal ab. Aber die Planung wertet das Ereignis nicht ab. Wir planen ja auch unsere Ferien. Für viele Paare ist Sex nach Agenda eine Erleichterung. In einer Langzeitbeziehung gibt es die Tendenz, dass die Sexualität im Alltag sozusagen unter das Bett fällt. Man muss die Sexualität, wie man in der Wirtschaft sagen würde, wieder implementieren. Das funktioniert gut. Vor Jahren war ein Paar bei mir, das Zwillinge bekam. Die Frau war danach erschöpft und hatte keine Lust auf Sex. Ich habe vorgeschlagen, dass sie den Sex einmal pro Woche fix einplanen. Das war der Donnerstag. Nach drei Wochen kam das Paar erneut zu mir. Sie fragten mich: «Wir hatten in einer Woche zweimal Sex, durften wir das?» Natürlich. Wenn der Mann dann am Freitag seine Hand auf ihre Schulter legte, dachte sie nicht dass der «geile Bock» wieder Sex von ihr wollte, weil sie den ja am Donnerstag hatten, sondern sie genoss einfach die Zärtlichkeit. Mit Sex nach Agenda können wir einen Teufelskreis durchbrechen.
Erschreckend viele Menschen gehen fremd. Wie kommt das?
Laut einer Studie gehen 46 Prozent der Männer irgendeinmal fremd, bei den Frauen sind es 43 Prozent. Man hat untersucht, warum das so ist. Die Männer gehen fremd, weil sie sich nicht mehr bewundert fühlten, die Frauen, wenn sie sich einsam fühlten. Es hat also etwas mit Wertschätzung und Anerkennung zu tun. Am häufigsten gehen Personen fremd, die unglücklich sind und viele Gelegenheiten dazu haben.
Man muss die Beziehung pflegen.
Genau. Ich benutze oft folgendes Bild, um das zu veranschaulichen. Auf der einen Seite steht der Mann, auf der anderen Seite die Frau. Natürlich kann das genauso gut ein gleichgeschlechtliches Paar sein. Dazwischen befindet sich ein Feuer. Beide Partner müssen das Feuer ständig mit Holz anheizen, damit es nicht erlischt. Sonst wird es kühl zwischen den beiden – und wenn dann ein heisses «Öfelchen» vorbeigeht, ist die Versuchung gross.
Ist der Mensch denn überhaupt monogam, wenn die Versuchung schon so gross ist?
Das ist eine gute Frage. Monogamie ist eine gesellschaftliche Abmachung. Für viele Menschen, die so aufgewachsen sind, ist das ein wichtiger Teil ihres Wertesystems. Aber auch die polygame Beziehung ist ein Modell, das es gibt. Die Beziehung wird erweitert, weil nicht alle Bedürfnisse abgedeckt werden können. Ich nenne das eine erweiterte Gärtchenlösung. Beide müssen verhandeln, was ins Gärtchen gehört und was nicht. Zum Beispiel könnte eine Regel heissen: Kein Sex ohne Kondom. Die Paare wollen ihre Familie behalten, aber auch andere Bedürfnisse ausleben.
Funktioniert das?
Das funktioniert sehr, sehr, sehr selten. Das polygame Modell löst den Schmerz aus, dem anderen nicht gerecht zu werden. Viele kommen mit diesem Modell nicht zurecht. Aber ja, es ist ein weiteres Modell.
Wann ist die beste Zeit für Sex? Im Buch wird der Morgensex hochgehalten.
Am Morgen ist der Testosteronspiegel höher. Am Ende soll aber jedes Paar selber entscheiden. Definitiv nicht gut ist ein voller Bauch.
Sex war noch nie so allgegenwärtig wie jetzt. Gleichzeitig hat die heutige Generation so wenig Sex wie nie zuvor. Ein Widerspruch?
Ich glaube, wir haben heute eine Überflutung von visuellen Reizen. Das führt dazu, dass wir eher zumachen und uns verschliessen. Die Pornografie war noch nie so zugänglich. Mit 1,7 Klicks bin ich heute bei harten Pornos. Die Pornografie gaukelt dem Hirn eine Sexualität vor, die sehr wenig mit der Realität zu tun hat. Die Wirklichkeit und die gesehenen Impulse liegen sehr weit auseinander.
Wie hat das Thema Internet unser Sexualleben verändert?
Das macht etwas mit uns. Das ist wie eine Blaupause, ein Muster, das sich in unser Hirn einbrennt.
Das Buch geht über das Thema Sex hinaus. Unter dem Kapitel «Die sieben geheimen Regeln für ewige Liebe» finden sich auch Beziehungsratschläge.
Genau, zum Beispiel das Mississippi-Prinzip. Sie können das auch das Rhein-Prinzip nennen. Am besten stellt man sich zwei Menschen in einem Boot auf einem Fluss vor, die vom einen Ufer ans andere rudern wollen. Nur wenn beide beständig rudern, haben sie eine Chance, ans andere Ufer zu gelangen.
Wieso wissen viele Menschen nicht, dass sie in einer Beziehung rudern müssen?
Weil die Kinder nicht mitbekommen, dass auch ihre Eltern rudern. In den 80er-Jahren flüchteten die Eltern bei einer Auseinandersetzung einfach auf den Balkon, wenn das Kind schlief.
An wen richtet sich das Buch?
Die Zielgruppe sind Frauen und Männer, die interessiert sind, ihr Wissen um Sexualität auf eine humorvolle und spielerische Art zu erweitern.
Interview: Sandro Portmann
Das Buch «Der beste Sex kommt noch» umfasst 112 Seiten und kostet 22.90 Franken. Es ist in den Buchhandlungen erhältlich oder unter:
www.doktorstutz.ch/shop
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